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Karl Dedecius Stiftung

Jahresbericht 2022

Gegen alle Erwartungen stand das Jahr 2022 im Schatten des russischen Überfalls auf die Ukraine, welcher die Programmgestaltung der Karl Dedecius Stiftung prägte.


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Gegen alle Erwartungen stand das Jahr 2022 im Schatten des russischen Überfalls auf die Ukraine, welcher die Programmgestaltung der Karl Dedecius Stiftung prägte. So wurden vier Veranstaltungen mit dem Schwerpunkt "Ukraine" realisiert:

Zunächst – als Zeichen der Solidarität mit der Ukraine und auf Initiative der Berliner Geigerin Joanna Filus-Olenkiewicz – wurde am 30. Juni ein Benefizkonzert unter dem Motto Mit der Ukraine für die Ukraine organisiert. Das Motto war nicht zufällig gewählt, denn bei der Vorbereitung und der Gestaltung dieser Veranstaltung wurden die in Frankfurt lebenden Ukrainerinnen und Ukrainer einbezogen; es führten durch das Konzert auf Deutsch und Ukrainisch Iryna Tkachivska und Oleksii Kysliak. Die Resonanz überstieg stark die Erwartungen aller Beteiligten: "Über 200 Gäste - darunter auch viele ukrainische Mütter und Großeltern mit kleinen Kindern – füllten […] das Kirchenschiff der Frankfurter Friedenskirche bis auf den letzten Platz", liest man im Logbuch der Viadrina (Bericht von Dr. Gero Lietz). Das Repertoire war sehr abwechslungsreich, so dass die Anwesenden das derzeitige Drama ihres Landes zumindest für die Dauer des Konzerts vergessen konnten.

Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit dem Oekumenischen Europa-Centrum Frankfurt (Oder), Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien und dem Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM e. V.) Frankfurt (Oder) vorbereitet. Die Schirmherrschaft übernahm die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina, Prof. Dr. Julia von Blumenthal. Für den Viadrina Förder- und Notfallfonds Ukraine konnten ca. 3.000,00 EUR gesammelt werden (die Überweisung wurde vom OEC vorgenommen).

In Kooperation mit der Bibliothek des Collegium Polonicum in Słubice wurden im September und Dezember zwei Lesungen organisiert: die erste auf Initiative des Internationalen Literaturfestivals Berlin im Rahmen einer Weltweiten Lesung ukrainischer Literatur und die zweite Weihnachten in der Literatur - Lesung ukrainischer, polnischer und deutscher Weihnachtsgeschichten im Rahmen des lebendigen Adventskalenders der Doppelstadt Frankfurt (Oder) und Słubice. Während der Veranstaltungen wurden literarische Texte auf Deutsch, Polnisch und Ukrainisch vorgelesen. Auch im das Publikum waren Leser:innen aus allen drei Sprachräumen vertreten.

Die letzte Veranstaltung, die mit dem Fokus Ukraine durchgeführt wurde, war das zweite Symposium in der Reihe Bartoszewski Promemoria zum Thema: Europa als gemeinsame Perspektive. Deutschland, Polen und Ukraine im Jahr 2022/23, zudem namhafte Forscher:innen aus Deutschland und Polen eingeladen wurden. In drei Gesprächsrunden wurde über Europa als Interessen- Sicherheits- und Wertegemeinschaft diskutiert. Dabei kamen zu Wort Prof. Dr. Gesine Schwan – frühere Viadrina-Präsidentin und heute Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Platform, Viadrina-Preisträgerin und Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Irena Lipowicz, Prof. Dr. Aniela Dylus – Politikwissenschaftlerin aus Warschau und Mitglied u.a. der Europäischen Ethikvereinigung "Societas Ethica",  Prof. Dr. Jarosław Jerzy Drozd – Politologe, ehem. Generalkonsul von Polen in Sankt Petersburg und Lviv Rolf Nikel – bis 2020 Botschafter in Polen, Dr. Justus Werdin – ehem. Referent für Osteuropa und grenzüberschreitende Ökumene des Berliner Missionswerks, Axel von Hoerschelmann – Ministerialrat a.D. und Mitglied des Vorstands im Verein zur Förderung von Wissenschaft und Praxis der Mediation, sowie die Viadrina-Forschenden: der Historiker Prof. Dr. Gangolf Hübinger und die Kultur- und Sozialanthropologin PD Dr. Carolin Leutloff-Grandits. Den Eröffnungsvortrag hielt Dr. Marek Prawda, ehemaliger Botschafter Polens in Deutschland. Prof. Dr. Natalia Kohtamäki, Rechtswissenschaftlerin an der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität in Warschau trug die Ergebnisse der Diskussion zusammen. Die musikalische Umrahmung bereitete das Ensemble Bizarre Berlin (Joanna Petryka-Wawrowska, Karol Borsuk und Bernd Goebel) vor.

Die Veranstaltung wurde von der Karl Dedecius Stiftung in Kooperation mit der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität (Fakultät für Recht und Verwaltung), dem Oekumenischen Europa-Centrum, dem Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien sowie dem Viadrina Center B/ORDERS IN MOTION organisiert und von der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit finanziell unterstützt. Das gesamte Symposium ist als Videomitschnitt in einer deutschen und einer polnischen Version abrufbar. Die genaue Beschreibung des gesamten Vorhabens ist auf der Projektseite zu finden. 

Das Bartoszewski Symposium war eines der drei Großprojekte, welches 2022 realisiert wurde. Im Ramen der Kooperation mit der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität in Warschau und der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) wurden zwei weitere Projekte realisiert: Verwaltungsrechtswissenschaft im Dialog: Interdisziplinäre Forschungsansätze zur Bedeutung der Fachsprache für das gegenseitige Verständnis von polnischen und deutschen Juristen (finanziert durch die Deutsch-Polnische Wissenschaftsstiftung) und Deutsch-polnische Zusammenarbeit im Bereich des Verwaltungsrechts – eine empirische Untersuchung am Beispiel der Übersetzung des Werkes von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Eberhard Schmidt-Aßmann "Verwaltungsrechtliche Dogmatik" (finanziert durch die Fritz Thyssen Stiftung). Als Ergebnis der beiden Projekte ist vor allem die polnische Übersetzung der Monographie von Prof. Eberhard Schmidt-Aßmann "Verwaltungsrechtliche Dogmatik" (übersetzt von Malgorzata Bochwic-Ivanovska, redaktionell bearbeitet von Prof. Irena Lipowicz, Prof. Andrzej Wróbel, Dr. Ziemowit Cieślik, Prof. Natalia Kohtamäki und Dr. Ilona Czechowska / ISBN 978-83-8286-384-0) zu nennen. Des Weiteren wurde den Studierenden der Europa-Universität Viadrina und der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität die Teilnahme an zwei Seminaren angeboten: ein Online-Seminar z.T. Rezeption der Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft in Deutschland und Polen am 15.12.2021 und ein Übersetzungsworkshop am 17.01.2021 mit Frau Malgorzata Bochwic-Ivanovska im Sprachenzentrum der Europa-Universität Viadrina

Darüber hinaus konnten auch die Wissenschaftler:innen die von Prof. Schmidt-Aßmann in seiner Monographie thematisierten Probleme rund um das Thema "Verwaltungsrechtliche Dogmatik" diskutieren. Dazu gab es die Gelegenheit während des Online-Workshops Probleme der Übersetzung und Übertragbarkeit von theoretischen Konzepten am Beispiel der "Verwaltungsrechtlichen Dogmatik" in der Zeit vom 24.-25.03.2022 (ursprünglich sollte das Treffen in Heidelberg stattfinden, auf Grund der Pandemie wurde jedoch das Online-Format gewählt), und während der deutsch-polnischen Konferenz Dogmatische Herausforderungen und Konzepte für gemeinsames Lernen vom 8.-10.06.2022 an der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität in Warschau. Weitere Informationen sind auf der Projektseite zu finden.

Im Fokus der danach folgenden Projekte und Initiativen stand die Arbeit der Literaturübersetzer:innen. Im Frühling 2022 konnte die dritte Edition des schon längst geplanten und wegen der Pandemie zweimal verschobenen Projektes Literaturübersetzung im deutsch-polnischen Kulturdialog – Zbigniew Herbert in der Übersetzung ins Deutsche erfolgreich durchgeführt und abgeschlossen werden.

Vom 29.05.-1.06. kamen Studierende (Germanist:innen und Polonist:innen) von acht deutschen und polnischen Universitäten nach Frankfurt (Oder) und Słubice, um sich mit der Rezeption der Werke von Zbigniew Herbert zu beschäftigen. In deutsch-polnischen Tandems bereiteten die Studierenden Präsentationen zu folgenden Themen vor: "Herbert und sein Dichterwerkstatt", "Der Dichter und seine Übersetzer", "Herbert  auf Deutsch" und "I-Faktoren der literarischen Übersetzung". Durch die Zusammenarbeit in den Tandems konnten die Studierenden sich nicht nur mit einem Thema beschäftigen, vielmehr hatten sie die Möglichkeit ihr Wissen auszutauschen, die Arbeitsweise, die sie von ihren Universitäten kannten, verbessern, schließlich konnten sie ihre Erkenntnisse, die sie mitbrachten, in einer wissenschaftlichen Diskussion revidieren und damit ihr Wissen vertiefen.

In denselben Gruppen setzten sich die Studierenden auch mit der Korrespondenz zwischen Zbigniew Herbert und Karl Dedecius und ihrer Übersetzung auseinander. Dabei haben sie diskutiert, wie manche Inhalte besser zum Ausdruck gebracht werden könnten, was der Briefautor geschrieben hat und was er mit dem Geschriebenen wirklich zum Ausdruck bringen wollte. Genauso interessant und zugleich diskutabel waren die Anrede- und Schlussformeln, die im Polnischen doch anders als im Deutschen ausgedrückt werden.

Als Höhepunkt des Workshops war die Zusammenarbeit mit den Karl Dedecius Preisträgern, Monika Muskała und Thomas Weiler. Hier bekamen die Studierenden die einzigartige Chance, sich selbst in die Rolle eines Literaturübersetzers, einer Literaturübersetzerin zu versetzen und die Arbeit an der Übersetzung von anspruchsvoller Literatur auszuprobieren.

Besonders interessant empfanden die Studierenden die Besichtigung einer Herbert-Ausstellung und des Karl Dedecius Archivs, in dem sie den Dichter, Zbigniew Herbert, hautnah erleben dürften, indem sie seine originalen Typoskripte und Manuskripte in die Hand nehmen konnten. (Früher arbeiteten sie mit den Digitalisaten aus dem Archiv).

Dieser Workshop wurde in der Zusammenarbeit mit dem Deutschen Polen-Institut, dem Karl Dedecius Archiv und den teilnehmenden Universitäten (Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań, Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), Ludwig-Maximilians-Universität in München, Universität Greifswald, Universität Łódź, Universität Potsdam, Universität Szczecin und Universität Wrocław) realisiert. Finanziert wurde er aus den Mitteln der Marion-Dönhoff-Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und der Karl Dedecius Stiftung; die Schirmherrschaft übernahm die Zbigniew Herbert Stiftung aus Warschau.

Begleitend zu dem oben geschilderten Workshop wurde ein Podiumsgespräch mit den Karl-Dedecius-Preisträger:innen vom 2019, Monika Muskała und Thomas Weiler organisiert. Diese Veranstaltung war offen für das interessierte Publikum aus Deutschland und Polen. Wie im Bericht von Dr. Małgorzata Szajbel-Keck und Frauke Adeysian steht, werden die "Übersetzerinnen und Übersetzer […] oft vergessen, wenn fremdsprachige Literatur – natürlich in ihrer Übersetzung – besprochen, rezensiert und ausgezeichnet wird. Und so war es das besondere Verdienst dieses von Dr. Birgit Kehl moderierten Gespräches, dass es Monika Muskała und Thomas Weiler Raum gab, eindrücklich verständlich zu machen, was es bedeutet, einen literarischen Text – sei es ein Kinderbuch oder ein zeitgenössisches Theaterstück – in eine andere Sprache zu übertragen". Das Gespräch wurde musikalisch vom Ensemble Bizarre begleitet. Die Aufzeichnungen des Gesprächs sind auf der Homepage der Karl Dedecius Stiftung abrufbar (deutsche und polnische Sprachversion).

Im Anschluss an das Gespräch besuchten die Preisträgerin und der Preisträger mit ihren Gästen die Ausstellung Karl Dedecius: Brückenbauer zwischen Polen und Deutschland – diese kam nach Frankfurt (Oder) dank der Zusammenarbeit mit dem Deutschen Polen-Institut und der finanziellen Unterstützung der Robert Bosch Stiftung. Sie war in der Universitätsbibliothek bis zum 30.09.2022 zu sehen.

Der Würdigung der Arbeit eines Literaturübersetzers diente auch die Feierliche Benennung des Seminarraumes (im Gebäude der Viadrina, in der Großen Scharrnstraße 23a) nach Karin Wolff. Der Vorschlag zur Benennung des Seminarraumes nach der Frankfurter Übersetzerin Karin Wolff erfolgte im Rahmen eines universitätsinternen Wettbewerbs und wurde vom Collegium Polonicum, dem Karl Dedecius Archiv, dem Zentrum für interdisziplinäre Polenstudien und der Karl Dedecius Stiftung eingereicht. Am Tag der genannten Feier wurden vor allem die Weggefährten von Karin Wolff eingeladen, darunter die emeritierte Viadrina-Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Christa Ebert und Prof. Heinrich Olschowsky. Die Laudatio auf die Frankfurterin, die durch ihre Übersetzungen polnischer Literatur ins Deutsche zur deutsch-polnischer Verständigung sichtbar beigetragen hatte, hielt Prof. Ebert. Der Bericht von Ulrike Poley mit weiteren Informationen zu der Veranstaltung befindet sich im Logbuch der Universität. 

Neben der Ausstellung Karl Dedecius: Brückenbauer wurde auf Initiative der Karl Dedecius Stiftung an der Europa-Universität Viadrina eine zweite Ausstellung Różewicz– ein Dichter der inspiriert. Bilder von Adam Hawałej eröffnet. A. Hawałej als Presse- und Theaterfotograf begleitete jahrelang den polnischen Dichter und Dramaturg. 2011 veröffentlichte er ein Bildband "Różewicz" und darüber konnte er sowohl während der Vernissage als auch im Podiumsgespräch, das direkt vor der Ausstellungseröffnung stattfand, berichten. Auf dem Podium traf sich der Fotoreporter mit der Publizistin und Autorin der neusten Biographie von T. Różewicz, Magdalena Grochowska (Bildergalerie). Beide sprachen von ihrer Wahrnehmung des polnischen Dichters, jede:r aus eigener Perspektive. Das Gespräch wurde musikalisch von Ensemble Bizarre begleitet. Die Veranstaltung wurde in der Kooperation mit dem Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien organisiert. Die Aufzeichnungen sind online zugänglich – sowohl auf Deutsch als auch auf Polnisch.

Das Thema eines weiteren Gesprächs, zu dem die Karl Dedecius Stiftung – diesmal in Kooperation mit dem Oekumenischen Europa-Centrum Frankfurt (Oder) – eingeladen hatte, war Breslau (pol. Wrocław) gewidmet. In einer Präsentation stellte Roswitha Schieb, Autorin zahlreicher kulturhistorischer Publikationen über Schlesien und Preisträgerin des Kulturpreises Schlesien des Landes Niedersachsen, Breslau als eine außergewöhnliche Literaturstadt vor, in der es preußische, polnische, österreichische und böhmische kulturelle Spuren gibt. Dabei erinnerte sie an aus Breslau stammende Persönlichkeiten, darunter Dietrich Bonhoeffer, Joseph Freiherr von Eichendorff, Andreas Gryphius, Gerhart Hauptmann, Marek Krajewski, Nadia Szagdaj, Tadeusz Różewicz, Urszula Kozioł und die polnische Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk. Die literarischen Spuren in Breslau sind in Schiebs "Literarischem Reiseführer – Breslau" eingehend beschrieben.

Das Gespräch und Treffen mit R. Schieb diente der Vorbereitung auf eine Studienreise, die im Zeitraum vom 14.-18.09.2022 unter dem Motto: Wrocław / Breslau - Wissenschaft, Kultur und Ökumene im deutsch-polnischen Austausch stattfand. Die Studienreise sollte keine gewöhnliche Reise nach Breslau sein, vielmehr sollte sie zu deutsch-polnischem Austausch anregen und zahlreiche Möglichkeiten zum Dialog mit in Breslau lebenden Vertretern aus Wissenschaft, Literatur, Kultur und Ökumene bieten. Entsprechend wurde das Programm konzipiert.

Dank der Zusammenarbeit mit dem Institut für Germanistik der Universität Wrocław wurden die Reisenden während des gesamten Aufenthalts von Wissenschaftler:innen, Doktorand:innen und Studierenden begleitet – so konnten sie einen Einblick in die Ausbildung angehender Germanist:innen und in die Forschungsfelder der Breslauer Wissenschaftler:innen gewinnen (besonderer Dank gilt Karolina Kazik und Dr. Magdalena Maziarz). In den Räumlichkeiten der Germanistik (früher u. a. Franziskaner-Kloster) wurde die Gruppe vom Direktor des Instituts für Germanistik Prof. Tomasz Małyszek und der Dekanin Prof. Anna Małgorzewicz begrüßt. Zur Einführung in das Thema der Studienreise hielt Dr. Jan Pacholski einen lebhaften Vortrag zur Geschichte der Universität Breslau/Wrocław. Er sprach von den Verflechtungen mit der Geschichte der Viadrina sowie von Breslauer (deutschen und polnischen) Schriftsteller:innen und Gelehrten. Dann führte der Weg in das Oratorium Marianum, die berühmte Aula Leopoldina und schließlich zur Aussichtsterrasse der Universität. Nach einer Mittagspause folgte eine Führung durch die Altstadt, sie begann mit der Besichtigung der Dominsel mit der St. Johannes-Kathedrale, deren Baubeginn auf das 13. Jh. zurückgeht, führte an der Universität vorbei und endete auf dem Breslauer Ring.

Inhaltsreich war auch Tag 2 der Reise. Er begann mit einem Besuch der Synagoge zum Weißen Storch und des Zentrums für Jüdische Kultur und Bildung. Jerzy Kichler gab den Reiseteilnehmer:innen als Vertreter der jüdischen Gemeinde einen Einblick in die Geschichte der Gemeinde und der Synagoge, er sprach von ihrer gegenwärtigen Bedeutung für die Gemeinde und auch für die Stadt.

Nach dieser Einführung in das jüdische Leben und der Führung durch die Synagoge gab es in der angrenzenden, restaurierten Mikwe eine Podiumsdiskussion mit anschließender Fragerunde zum Thema interreligiöser Dialog. Auf dem Podium hatten Vertreter der jüdischen, katholischen und lutherischen Gemeinde in Wrocław Platz genommen, unter ihnen Dr. Janusz Witt, Gründer der polnischen Sektion der Bonhoeffer-Gesellschaft mit großen Verdiensten um den ökumenischen Dialog. Es kamen Errungenschaften, aber auch Probleme der interreligiösen Zusammenarbeit in Breslau zur Sprache.

Von der Synagoge ging es wieder ins Institut für Germanistik, wo zwei deutsch-polnische Großprojekte vorgestellt wurden: das Willy-Brandt-Zentrum (seine Geschichte, Programm, realisierte Projekte / vorgestellt von Dr. habil. Andrzej Dębski) und die Deutsch-Polnische Gesellschaft der Universität Wrocław, an diesem Tag vertreten durch Prof. Edward Białek und Dr. Joanna Banachowicz. Der Nachmittag war der Geschichte des Breslauer Theaters gewidmet. Im Kammersaal des Polnischen Theaters sprach die Germanistin Dr. Aleksandra Nadkierniczna-Stasik zum Thema "Breslauer Theater bis 1945". Die Aktivitäten und die Geschichte des Theaters in der Nachkriegszeit stellte Juliusz Lichwa vor. Höhepunkt war die Besichtigung der großen Bühne des Theaters mit einem Auftritt des Schauspielers Bartosz Puława, der uns das Bühnenbild zu Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" samt allen Besonderheiten erläuterte. Dank an Frau Elżbieta Małecka für die sorgfältige Planung der Veranstaltung.

Der dritte Tag der Reise war zwar nicht mehr so akademisch, dennoch nicht weniger abwechslungsreich. Zu Beginn des Tages wurden die Gespräche zum Thema "Ökumene in Breslau" fortgesetzt. In der lutherischen Kirche der Göttlichen Vorsehung (der ehemaligen Hofkirche) begrüßte die Gäste als Hausherr Pf. Marcin Orawski. Im Zentrum der anschließenden Gesprächsrunde stand insbesondere der evangelisch-katholische Dialog. Für Fragen standen neben Dr. Janusz Witt auch der lutherische Altbischof Ryszard Bogusz sowie der katholische Pfarrer und Hochschullehrer Prof. Bogdan Ferdek zur Verfügung.

Nach der Begegnung mit Vertretern christlicher Kirchen in Breslau galt die Aufmerksamkeit einem weiteren Schwerpunkt: dem Ossolineum, das ursprünglich als Forschungsinstitut in Lemberg gegründet und in der Nachkriegszeit infolge der Grenzverschiebung nach Breslau verlegt wurde. Das Ossolineum arbeitet bis heute mit seinen Partnern in der Ukraine zusammen. Dem Institut gehört auch das Pan-Tadeusz-Museum, in dem nicht nur die Handschriften des polnischen Romantikers Adam Mickiewicz aufbewahrt werden, sondern auch zwei Dauerausstellungen gezeigt werden. Die erste ist Władysław Bartoszewski und Jan Nowak Jeziorański (beide engagiert in der Opposition schon seit der Kriegszeit) und die zweite dem Breslauer Dichter Tadeusz Różewicz gewidmet. Der Tag endete mit einer Schiffsfahrt auf der Oder mit Live-Musik (Gypsy-Jaz für Violine und Gitarre).

Auch der vierte Tag der Reise begann mit einem ökumenischen Dialog, und zwar im Edith-Stein-Haus. An diesem historischen Ort erfuhren die Reiseteilnehmer viel über die Biographie und das Leben von Edith Stein. Die Leitung des Hauses und auch Dr. Janusz Witt standen für Fragen zur Verfügung. Im Anschluss bestand die Möglichkeit, das Haus zu besichtigen. Am Abend vor der Abreise waren die Reiseteilnehmer:innen zu einem kulturellen Höhepunkt eingeladen – der polnischen Uraufführung der im Jahre 1600 von Emilio de’Cavalieri komponierten geistlichen Oper „Das Spiel von Seele und Leib / Rappresentatione di animaet di corpo“ im Nationalen Musikforum.

Am Rückreisetag gab es vormittags die Möglichkeit zum Besuch von Gottesdiensten. Die Busfahrt zurück nach Frankfurt (Oder) begann mit einem Zwischenstopp auf dem alten jüdischen Friedhof an der ehemaligen Lohestraße (heute ul. Ślężna), der zugleich auch Museum der Friedhofskunst ist. Renata Bardzik-Miłosz zeigte der Reisegesellschaft die ältesten jüdischen Gräber aus dem 13 Jh. sowie das Grab der Mutter von Edith Stein. Diese Friedhofsführung rundete das reichhaltige Reiseprogramm ab.

Die Studienfahrt wurde in Kooperation mit dem Oekumenischen Europa-Centrum Frankfurt (Oder), der Universität Wrocław, der Arbeitsstelle Bildung und Ehrenamt des Evangelischen Kirchenkreises Oderland-Spree sowie der Stiftung Edueko organisiert. Sie wurde vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg als Bildungsurlaub anerkannt.

In Kooperation mit der Breslauer Germanistik (dem Lehrstuhl für Translatorik und Glottodidaktik) wurden zwei weitere Veranstaltungen organisiert: Im Mai fand dort ein Symposium unter dem Titel: Karl Dedecius. Zwischen Worten – zwischen Völkern statt. Unter demselben Titel wurde schon 2021 eine Wanderausstellung konzipiert. Diese wurde ebenfalls in Breslau präsentiert (weitere Ausstellungsorte im Jahre 2022 waren: Frankfurt (Oder): Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder); Bydgoszcz: Bibliothek der Karl-des-Großen-Universität; Poznań: Adam-Mickiewicz-Universität; Berlin: Humboldt Universität in Kooperation mit dem Polnischen Institut; München: Ludwig-Maximilian-Universität; Siegen: Stadtbibliothek und Mainz: Mainzer Polonicum).

Die zweite Tagung, an der die Karl Dedecius Stiftung beteiligt war, fand unter dem Titel: DedeciusKalia: Das Werk von Karl Dedecius statt. Im Fokus dieser Veranstaltung stand die Möglichkeit der Verwendung der Arbeiten von Karl Dedecius in der (Hoch)schuldidaktik. In diesem Zusammenhang erschien ein Sammelband unter demselben Titel (Hrsg. Katarzyna Nowakowska, Anna Grójek, Edward Białek, ISBN: 978-03-65815-49-1) – die Karl Dedecius Stiftung förderte ihn finanziell.

Bezogen auf das Bildungsangebot der Karl Dedecius Stiftung wurden im Jahre 2022 mehrere Initiativen ergriffen: neben den o.g. fand in Kooperation mit dem Verein Arbeiten und Leben in historischen Gebäuden gGmbH (ARLE) ein Tandemkurs für Senior:innen aus Frankfurt (Oder) und Słubice statt. Im Rahmen des Seminars Polenstudien: Kultur, Literatur, Film und in der Zusammenarbeit mit Dr. Ernest Kuczynski konnte den Studierenden der Europa-Universität Viadrina ein Treffen zum Thema Polnische Literatur und Kultur des 20. Jhs. in der Übersetzung von Karl Dedecius angeboten werden. Auf Einladung von Dr. Marta Bąkiewicz konnte auch den Studierenden der Adam-Mickiewicz-Universität das Leben und Werk von Karl Dedecius nähergebracht werden. Dieses Treffen fand im Karl Dedecius Archiv statt.

Anders als in den vergangenen Pandemie-Jahren konnten alle Initiativen und Projekte planmäßig realisiert werden. Die Mitarbeiterinnen der Stiftung wurden darüber erfreut, dass viele der Veranstaltungen auch auf das Interesse der Medien stießen, der letzte Beitrag erschien in der Zeitschrift Polonus (S. 58, hrsg. von KoKoPol).

Dr. Ilona Czechowska
Geschäftsführerin der Karl Dedecius Stiftung

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