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Karl Dedecius Stiftung

2019

Dywan_190-morski ©Adam Czerneńko
Dywan_190-morski ©Adam Czerneńko
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Dywan_190-morski_1 ©Adam Czernenko

Das Jahr 2019 begann mit den ersten Gesprächen rund um die Umbenennung der Stiftung Karl Dedecius Literaturarchiv in Karl Dedecius Stiftung. Im Umlaufverfahren und dank der Unterstützung der Familie von Prof. Dedecius konnte ein Beschluss gefasst werden und die Umbenennung der Stiftung ist wirksam geworden. Des Weiteren schied aus dem Beirat Prof. Dr. Heinrich Olschowsky aus, an seine Stelle wurde in das Gremium Prof. Paweł Zajas aus Posen berufen.

Im Jahre 2019 wurden drei große Projekte realisiert:

In der Kooperation mit dem Ökumenischen Europa-Centrum in Frankfurt (Oder) fand im September eine einwöchige Studienreise nach Oberschlesien statt. Das Motto lautete: „Wer Frieden gewinnen will, muss Freunde gewinnen (Karl Dedecius)“. Das Ziel der Reise war, mit deutschen und polnischen Teilnehmern die erlebte und bezeugte Nachbarschaftsgeschichte neu zu reflektieren und die Kultur und Geschichte Schlesiens hautnah zu erleben. Dies sollte im Gespräch mit Vertretern der schlesischen Glaubensgemeinschaften, Bildungs- und Kultureinrichtungen geschehen.

In Świdnica (Schweidnitz), in der im Stil des Barock gehaltenen Friedenskirche wurden die Reisenden vom Bischof Waldemar Pytel begrüßt. Interessant waren auch die Begegnungen mit Bischof Niemiec von der Ev.-Augsburgischen Kirche Polens, dem Erzbischof em. Nossol in Kamień Śląski (Groß Stein) sowie der Gemeinde in Mikołów. In der alten Synagoge in Dzierżoniów (Reichenbach), in der seit 2007 die Stiftung Beiteinu Chaj ihren Sitz hat, erzählte Rafael Blau die Geschichte der jüdischen Gemeinde in seiner Stadt.

Während der Reise sollten die Teilnehmer die Möglichkeit bekommen, sich mit der Kultur und Geschichte Schlesiens auseinandersetzen. Zu Beginn der Reise wurde für die Teilnehmer ein Reader mit Auszügen aus der schlesischen Literatur zusammengestellt. So konnten sie sich u.a. in die Texte von Horst Bienek, Julian Kornhauser, Tadeusz Różewicz, Henryk Bereska, Peter Lachmann einlesen. Dies galt als eine gute Vorbereitung auf das erste Treffen in der schlesischen Bibliothek in Katowice – diese Bibliothek zählt zu den modernsten und größten Bibliotheken in der Region. Hier schilderten die Literaturwissenschaftlerin Prof. Grażyna Szewczyk und der Historiker Prof. Ryszard Kaczmarek die Besonderheiten der Literatur und Geschichte Schlesiens. Darauf bauten die Führungen durch Katowice (Kattowitz) mit Dr. Aneta Sokół, durch Gliwice (Gleiwitz) mit Dorota Bednarska und durch Bytom (Beuten) und Piekary mit Karolina Herman. Die Geschichte von Góra Św. Anny (Annaberg) wurde von Piotr Dr. Przybyła erklärt.

Als informativ erwiesen sich die Besichtigung des Radiosenders Gleiwitz sowie der Besuch im Museum Schlesiens und im Schloss in Pszczyna (Pless). Ebenfalls sehr anregend war der Spaziergang durch den Schacht Guido in Zabrze und die Besichtigung der bekannten Brauerei in Tychy (Tichau). 

Nun sollten die Reisenden die Gastfreundschaft der Schlesier hautnah erfahren. In diesem Sinne kam die Einladung vom Oberschlesischen Verband sehr gelegen. So konnte man in Dąbrówka in die oberschlesische Atmosphäre wahrhaft eintauchen. Nach dem typisch schlesischen Mittagessen (schlesische Roulade mit Klößen und Rotkohl) wurden die regionalen Trachten präsentiert. Danach – beim Kaffee und dem schlesischen Streuselkuchen, dem sog. „kołocz” – konnte man mit den Gastgebern direkt ins Gespräch kommen. Zum Ausklang des Nachmittags kam das Gemeindeorchester und spielte und sang die regionalen Lieder vor. Im Oktober kam es zu einem Gegenbesuch der Schlesier in Frankfurt (Oder).   

Das zweite große Projekt, das 2019 diesmal in Kooperation mit der Universität Wrocław und dem Zentrum für interdisziplinäre Polenstudien realisiert werden konnte, war eine Konferenz zum Thema: Zbigniew Herbert – ein Dichter zwischen den Kulturen… Das Hauptthema dieser Konferenz war die Rezeption seiner Werke. An der Konferenz nahmen ca. 50 WissenschaftlerInnen aus vier Ländern – aus Kroatien, Deutschland, Österreich und Polen – teil. Die Schirmherrschaft übernahm die Zbigniew-Herbert-Stiftung. Die Konferenz begann mit einem musikalischen Auftritt der Schüler aus dem Herbert-Lyzeum in Słubice, des Weiteren wurden Videogrüße der Ehegattin von Zbigniew Herbert abgespielt. Als Einstieg in die Diskussionen diente eine Präsentation von Ryszard Krynicki, der nicht nur die Werke von Zbigniew Herbert herausgegeben hatte, sondern auch mit dem Dichter jahrelang befreundet war. Der Tagungsband soll 2020 erscheinen. Gefördert wurde diese Konferenz von der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung.  

Ins Kleist-Museum wurden Zbigniew Herberts Freunde zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Im zweiten Teil dieser Veranstaltung lasen Michael Krüger und Ryszard Krynicki Heberts Gedicht vor. Durch den Abend begleitete die Gäste Bernhard Hartmann. Für die musikalische Umrahmung sorgten Bernd Goebel, Joanna Petryka-Wawrowska und der Komponist Karol Borsuk, der für diesen Abend Musik zu Herberts Gedicht „Poezja to nie rozpasana wyobraźnia“ schrieb. Diese Veranstaltung fand im Rahmen der Initiative “Kleine Fächer – Große Potenziale. Kleine Fächer-Wochen an deutschen Hochschulen” statt.

In Zusammenarbeit mit dem Pan-Tadeusz-Museum der Ossoliński-Nationalbibliothek in Wrocław, und der Bartoszewski Inititive / DPG Berlin konnte die Realisierung des dritten Projektes begonnen werden: „Władysław Bartoszewski im deutsch-polnischen Kulturdialog“. Im Rahmen dieses Projektes wurde die bereits seit 2015 in verschiedenen Städten Deutschlands präsentierte Ausstellung „W. Bartoszewski – Widerstand, Erinnerung und Versöhnung“ um vier Tafeln zum Thema Kulturdialog ergänzt. Am Beispiel der Freundschaft zwischen W. Bartoszewski und K. Dedecius sollten die Verdienste beider Brückenbauer für den deutsch-polnischen Kulturdialog, die Verständigung und die Annäherung gezeigt werden. Dieses Vorhaben wurde zum ersten Mal während der 28. Jahrestagung der Deutsch-Polnischen Gesellschaften in Homburg vorgestellt. Die neue Ausstellung wurde anschließend im Deutschen Polen-Institut in Darmstadt präsentiert. In Frankfurt (Oder) wird sie für die Öffentlichkeit im Frühling 2020 zugänglich sein – ein breites Begleitprogramm ist geplant. Das Projekt kann mithilfe der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit sowie der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien realisiert werden.

In Frankfurt an der Oder und in Berlin wurden ebenfalls weitere Veranstaltungen durchgeführt: In der Evangelischen Kirche in Berlin-Reinickendorf anlässlich des Frühlingkonzertes von Karol Borsuk wurde in einem Kurzvortrag das Leben und Werk von Henryk Bereska vorgestellt.

Am Tag der Muttersprache, am 21. Februar, stellte Andrea-Yvonne Müller ihr Buch „Großmamas Chopin - Chopin babci“ vor. Mit dem Publikum sprach sie u.a. von der Bedeutung der polnischen Sprache sowie der Initiativen, die sie in Ihrer Freizeit unternimmt. Die Lesung wurde in Kooperation mit BlokO und dem Verein Arbeiten und Leben in historischen Gebäuden GmbH organisiert. Im Frühling wurde Andrea-Yvonne Müller erneut ins Collegium Polonicum eingeladen.

Anlässlich des Theodor Fontane Jahres stellte im BlokO Jörg Lüderitz (der Frankfurter Buchhändler und Herausgeber zahlreicher Reiseführer durch Brandenburg), Fontane-Texte über die Gebiete östlich der Oder vor. An dem Nachmittag wurden u.a. Fragmente aus den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ gelesen.

Im Advent wurde nach Frankfurt ein Regensburger Schriftsteller, Publizist und Polenreferent, Matthias Kneip eingeladen. In der Friedenskirche las er aus seinem Buch „111 Gründe Polen zu lieben“. Danach erzählte er von seinen zahlreichen Reisen nach Polen, über seine Freundschaften – darunter mit Tadeusz Różewicz, auf dessen Schoß er als kleiner Junge saß und mit dem er Fußball spielte. Anhand der zahlreichen Beispielen brachte er dem Publikum die Eigenheiten der polnischen Mentalität und der polnischen Kultur näher. Die Veranstaltung wurde in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Europa-Centrum organisiert.

Dank der Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Verein Arbeiten und Leben in historischen Gebäuden GmbH konnte ein Tandemkurs für Senioren aus der Region angeboten werden.

In regelmäßig stattfindenden Workshops beschäftigten sich Seniorinnen und Senioren aus der Doppelstadt Frankfurt (Oder) und Słubice mit polnischer Literatur und Kultur. So konnten sich die Sprachkursteilnehmer mit den Texten von Julian Tuwim und Wisława Szymborska beschäftigen. Darüber hinaus lernten sie die wichtigsten Orte in Frankfurt und Słubice kennen. Sie besichtigten die Universitätsbibliothek sowie mehrere Ausstellungen an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).  

Neben den großen und kleinen Initiativen, die in Frankfurt realisiert werden konnten, werden die Aktivitäten der Stiftung auch außerhalb der Region wahrgenommen. Zu nennen ist hier die Vertiefung der Zusammenarbeit mit Schulen – vor allem mit dem Feliks Fabiani Lyzeum in Radomsko. Hier beschäftigten sich die Schüler mit sprachlichen Bildern in den Gedichten von Zbigniew Herbert und ihrer Übersetzung ins Deutsche. Darüber hinaus wurden sie in dem Vortrag von Ilona Czechowska auf die Freundschaft und den Austausch zwischen dem Dichter und seinem Übersetzer Karl Dedecius aufmerksam gemacht. Nachdem (aufgrund der polnischen Schulreform) die Kompetenzen des Karl-Dedecius-Gymnasiums von der Jan-Nowak-Jezioranski-Grundschule übernommen wurden, konnte die Karl Dedecius Stiftung das Schulbanner für das Karl Dedecius Archiv am Collegium Polonicum in Slubice gewinnen. Das Banner wurde feierlich im November 2019 übergeben. Aus diesem Anlass konnten die Schüler sich noch einmal mit dem Leben und Werk von Karl Dedecius beschäftigen. Da die Jan-Nowak-Jezioranski-Grundschule mit dem allgemeinbildenden Adam-Asnyk-Lyzeum in Łódź kooperiert, konnte ebenfalls ein Treffen, verbunden mit einem Workshop für die 16- und 17-Jährigen, zustande kommen. Die Direktion des Lodzer-Lyzeums zeigte das Interesse an der Zusammenarbeit mit der Stiftung.

Im Laufe des Jahres 2019 war die Mitarbeiterin der Stiftung zu Gast an drei Universitäten: an der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen, an der Universität Łódź und der Ludwig-Maximilian-Universität in München.

Zu nennen ist außerdem die aktive Teilnahme der Karl Dedecius Stiftung an der Konferenz an der Jagiellonen-Universität in Krakau – Konferenzthema: (Un)Sichtbarkeit des Übersetzers. Im September fand im Collegium Polonicum der 9. Tag der Bestandserhaltung statt. Während dieser Tagung konnte sich die Stiftung mit ihrem Erfahrungsbericht über die Übernahme eines Bestandes, am Beispiel des Dedecius-Nachlasses aktiv einbringen.

Im Fokus der Aktivitäten im Jahre 2020 wird die Vorbereitung der Feierlichkeiten rund um den 100. Geburtstag von Karl Dedecius stehen – die ersten Gespräche mit dem Museum der Stadt Łódź und der Universität Łódź wurden bereits geführt.

 

 

Dr. Ilona Czechowska
Geschäftsführerin der Karl Dedecius Stiftung