„Kroatien hat seine Hausaufgaben schneller erledigt als Bulgarien und Rumänien“ – Dr. Carolin Leutloff-Grandits über Schengenbeitritt und Euro-Einführung

Kroatien ist seit dem 1. Januar 2023 Teil des Schengen-Raums und des Euro-Währungsgebietes. Seit einem halben Jahr gibt es keine Grenzkontrollen mehr, wenn man aus einem anderen Schengen-Land einreist; offizielles Zahlungsmittel ist der Euro. Beides ist eher geräuschlos abgelaufen – oder täuscht der Eindruck aus deutscher Perspektive? Dazu im Interview Viadrina-Wissenschaftlerin und Kroatien-Forscherin PD Dr. Carolin Leutloff-Grandits.

 

Frau Leutloff-Grandits, welche Bedeutung haben die beiden Änderungen für Kroatien aktuell?

Der doppelte Beitritt in den Schengen- und den Euro-Währungsraum ist für Kroatien, das seit 2013 Mitglied der EU ist, allem voran ein weiterer zentraler Meilenstein der EU-Integration. Der Beitritt zum Euroraum ist darüber hinaus als Zertifikat zu sehen, dass Kroatien die Maastricht-Kriterien erfüllt und einen stabilen Finanz- und Zinshaushalt vorweisen kann – denn ohne den darf ein Land nicht Euro-Währungs-Mitglied werden.

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Viadrina-Wissenschaftlerin Carolin Leutloff-Grandits an einem Wasserfall des Grenzflusses Una zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina.


 

Wie sind die Auswirkungen der Euro-Einführung im kroatischen Alltag? In Deutschland 2002 wurden einige Waren teurer. Ist das in Kroatien auch der Fall?

Konkret erhofft sich Kroatien vom Euro vor allem wirtschaftliche Vorteile: Durch die Euro-Einführung in Kroatien fallen die Kosten des Umtausches weg, was mehr Tourist:innen anziehen könnte, zumal Tourismus einer der Hauptwirtschaftszweige Kroatiens ist. Außerdem hofft man, dass ausländische Investitionen ansteigen und Zinssätze sinken, so dass allgemein eine Verbesserung des Lebensstandards erwartet wird. Teile der Bevölkerung fürchteten mit der Euro-Umstellung auch eine Teuerung. Während diese vor allem bei Backwaren und in Cafés auch eingetroffen ist und punktuell Preissteigerungen bis zu 30 Prozent gemessen werden konnten, konnte ein allgemeiner, auf den Euro zurückzuführender Preisanstieg bisher allerdings nicht nachgewiesen werden. 

Wichtiger als der Euro-Beitritt ist meiner Meinung nach aber der Schengen-Beitritt Kroatiens.

 

Warum?

Die wegfallenden EU-Binnengrenzen Kroatiens wirken sich positiv auf den Tourismus aus. An den Grenzübergängen standen Reisende jeden Sommer oft stundenlang an, was wir als eingefleischte Kroatien-Urlauberfamilie auch selbst oft erfahren haben. Der Wegfall der Kontrollen und die daher verkürzte Reisezeit wird dem Tourismus sicherlich zu Gute kommen. Auch für den Warenverkehr ist der Wegfall der Grenzkontrolle zentral; er kann jetzt schneller und damit preisgünstiger ablaufen.

 

Gibt es auch Nachteile?

Der Beitritt zum Schengenraum war im Vorfeld mit einer „Verhärtung“ der über 900 Kilometer langen, bis dato weitgehend unbefestigten EU-Außengrenze zu Bosnien und Herzegowina verbunden, was vor allem auf die Kontrolle und Eindämmung irregulärer Migration abzielte. Die EU hatte hier Sicherheitslücken festgestellt, die durch eine vermehrte Stationierung von Grenzpolizisten, Investitionen in hochtechnisierte Grenzschutzinfrastruktur und die Schließung von Übergängen für die lokale Bevölkerung geschlossen werden sollten. Auch wenn die EU und der kroatische Staat dies als Sicherheitsgewinn postulieren, geht dies in den wenig besiedelten Grenzgebieten Kroatiens zu Bosnien-Herzegowina oftmals mit einer weiteren Peripherialisierung einher und verstärkt die Schwierigkeit, diese landschaftlich sehr schönen Gebiete für den Tourismus auszubauen.

Für Migrant:innen, die irregulär in die EU einreisen wollen, hatte die verstärkte Grenzsicherung den Effekt, dass sie einfacher aufgegriffen werden konnten, was zumindest zwischenzeitlich vermehrt zu illegalen Pushbacks, das heißt der gewaltsamen Zurückdrängung nach Bosnien-Herzegowina, geführt hat. Dies ist nicht nur von Menschenrechtsorganisationen dokumentiert worden, sondern auch von einem Medien-Team der ARD, denen es gelungen ist, im Herbst 2021 Pushbacks zu filmen. Die systematischen Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen wurden Kroatien fast zum Fallstrick für den Schengen-Beitritt.

 

Mit dem kürzlich geschlossenen EU-Asylkompromiss sollen Asylverfahren vermehrt und in einem beschleunigten Verfahren an den EU-Außengrenzen stattfinden. Welche Folgen hat das für Kroatien?

Für Kroatien heißt das, dass Bosnien-Herzegowina und Serbien verstärkt in die EU-Migrationspolitik einbezogen werden. Dazu soll es künftig Rückführungen in diese Länder geben. Dies wird die brutalen Pushbacks reduzieren und Kroatien und die gesamte EU entlasten. Ob damit die Menschenrechte von Migrant:innen respektiert werden, ist aber fraglich. Für die Länder auf der anderen Seite der EU-Außengrenze, die damit betraut werden sollen, die Asylverfahren für die EU durchzuführen, stellt sich außerdem die Frage, was dies für gesellschaftliche Folgen hat, zumal die Rückführung in die Herkunftsländer schwierig sein wird. 

 

Welche Bedeutung hat die weitgehende Integration Kroatiens in die EU?

Insgesamt stärkt die Mitgliedschaft Kroatiens im Euro- und Schengenraum die europäische Idee, was ein wichtiges Zeichen ist, insbesondere, nachdem Großbritannien aus der EU ausgetreten ist. Da für den Schengen-Beitritt 281 Kriterien erfüllt sein müssen, die von der EU definiert werden, lässt sich daraus schließen, dass Kroatien diese Hausaufgaben schneller erledigt hat als Bulgarien und Rumänien, die bisher nicht Teil der Schengen-Zone sind, auch wenn sie bereits seit 2007 Mitglieder der Europäischen Union sind. Man könnte daher sagen, dass Bulgarien und Rumänien in der EU-Hierarchie hinter Kroatien zurückgefallen sind. Noch deutlicher ist aber die Abgrenzung gegenüber Bosnien-Herzegowina beziehungsweise gegenüber den anderen Staaten, die aus dem Zerfall des sozialistischen Jugoslawiens hervorgegangen sind und die bisher nicht EU-Mitglieder sind.

 

Mit welchen Aspekten der kroatischen Gesellschaft haben Sie sich wissenschaftlich beschäftigt?

Meine eigenen Forschungen in Kroatien gehen weit zurück: Ich hatte 2000 bis 2005 im Rahmen meiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle (Saale) zu den Folgen des Krieges und insbesondere der Bedeutung der Restitution von Wohneigentum in den ehemaligen Kriegsgebieten in Kroatien geforscht. Ich habe im Anschluss im Rahmen eines EU-Projektes zu Verwandtschaft und sozialer Sicherheit in Kroatien geforscht. An der Viadrina habe ich im Jahr 2020 dann im Rahmen eines DAAD-Kooperationsprojektes zusammen mit Forschenden aus Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien und der Central European University zum sogenannten „doppelten Transit“ in den Balkanländern gearbeitet. Dabei haben wir die Situation der sogenannten Transitmigrant:innen entlang der Balkanroute, die oftmals an den Außengrenzen „gestrandet“ sind, mit der Situation der einheimischen Bevölkerung in Beziehung gesetzt, deren Länder sich im langen Transit zur EU-Mitgliedschaft befinden. In das Projekt habe ich auch Viadrina-Studierende einbezogen. Daraus sind ein Dokumentarfilm sowie zwei von mir betreute Abschlussarbeiten entstanden; eine dritte ist noch in Arbeit.

 

Worauf wollen Sie sich künftig in der Kroatien-Forschung fokussieren?

Der „doppelte Transit“ und die damit verbundenen – gleichzeitig stattfindenden – Grenzöffnungen und Grenzschließungen für jeweils andere Bevölkerungsgruppen und deren Auswirkungen auf die verschiedenen Balkan-Länder sind etwas, das ich gerne in Zukunft noch genauer erforschen möchte – nicht nur in Kroatien, sondern auch in Bosnien-Herzegowina und möglicherweise auch in Serbien. In meiner Forschung möchte ich ein besonderes Augenmerk auf Grenzziehungsprozesse legen, die sich nicht nur räumlich und sozial abbilden lassen – teilweise durch rassistische Grenzziehungen, aber auch durch Solidaritäten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen – sondern auch zeitlich, indem sie das Tempo und die Richtung ihrer Bewegungen kanalisieren und gleichzeitig eigene Zeit-Räume und Zeithierarchien schaffen.

 

Interview: Heike Stralau
Foto: Carolin Leutloff-Grandits

 

 

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