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KARL DEDECIUS ARCHIV

Zeit am Deutschen Polen-Institut

Die Gründung des Deutschen Polen-Instituts (DPI) geht auf eine Anregung von Karl Dedecius und eine Empfehlung des I. Forums Bundesrepublik Deutschland - Volksrepublik Polen zurück, das 1977 in Bonn tagte. Das Deutsche Polen-Institut ist eine Gemeinschaftsgründung der Stadt Darmstadt sowie der Länder Hessen und Rheinland-Pfalz unter Beteiligung des Bundes. Auf Beschluß der Kultusministerkonferenz der Länder wurde die Trägerschaft zum 1. Januar 1987 auf alle Bundesländer ausgedehnt.

dedecius ©Deutsches Polen-Institut    Karl Dedecius

 

Rückblick: 1979 - 1997

Blick zurück in...? Dankbarkeit. Dafür, daß es möglich war, etwas Notwendiges einzusehen, etwas Eingesehenes zu wagen, etwas Gewagtes über alle Klippen hinweg zum Erfolg zu steuern.

 

Über unsere Fahrt durch unwegsame, nicht selten stürmische Gewässer der politisch Wellen schlagenden Zeit (1979-1997) berichten inzwischen detailliert Buchpublikationen, zahlreiche Jahrbücher, Zeitschriften, Festschriften, Dissertationen und Magisterarbeiten, sowohl deutsche als auch polnische; all dies zu wiederholen erübrigt sich.

 

Aller Anfang, sagt man, sei schwer. Unser Anfang war insofern leicht, als er von einer sachlich kompetenten und von unbeirrbarem Engagement beflügelten kleinen Gruppe von Persönlichkeiten getragen wurde, die dem Institut treu beistanden und ihm Statut und Struktur gaben. Zu diesen Persönlichkeiten, um nur einige zu nennen, gehören in erster Linie:

- der Oberbürgermeister von Darmstadt, der gebürtige Breslauer und Homme de Lettre, Verleger Heinz Winfried Sabais, 
- der Osthistoriker Gotthold Rhode aus Posen, Professor an der Universität Mainz, 
- der Diplomat und Polen-Kenner Dr. Alfred Blumenfeld aus Bonn, 
- der erfahrene Kulturpolitiker des Auswärtigen Amtes, Dr. Barthold C. Witte, 
- die Robert Bosch Stiftung in Stuttgart, 
- die Stiftung Volkswagenwerk in Wolfsburg und am Ende und nicht zuletzt 
- die langjährige Präsidentin des Instituts Dr. Marion Gräfin Dönhoff. 

Dieser Kreis wurde zunehmend größer und sicherte dem Institut sein gesundes Wachstum: von einem Mitarbeiter im Jahre 1979 bis zu 14 Mitarbeitern im Jahre 1997. Das Vorhaben war trotzdem schwierig, weil es dafür weder im In- noch im Ausland Modelle gab, an deren Erfahrung man hätte anknüpfen können.

 

Um zwischen Deutschland und Polen Vertrauen zu stiften, mentale Annäherungen zu bewirken, mußte das Institut selbst vertrauenswürdig, also frei und unabhängig von den beiden Regierungen und von vielen unterschiedlichen Interessengemeinschaften sein. Das Institut hätte sonst im Fahrwasser der Gegensätze leicht sinnwidrig instrumentalisiert und verbraucht werden können. Unabhängig - und dennoch von allen akzeptiert, gar finanziert? Ein schier absurdes Ansinnen. Außerdem kam der Ideengeber aus der Privatwirtschaft, vertraut mit den Gesetzen des freien Marktes, eingeschworen auf Ökonomie, Innovation und Effektivität, also auf wenig Bürokratie und viel Privatinitiative. Eine »Amtsführung« nach üblichen Mustern war ihm nicht vertraut, er hatte auch mehr an eine schöpferische »Werkstatt« für kulturelle Kommunikation gedacht als an ein Amt, was die Gründungsgremien wußten, was sie akzeptierten und was das Präsidium und Kuratorium in fast zwei Jahrzehnten konstruktiv begleiteten. Widerstände gab es vor allem in der Volksrepublik Polen. Das Institut wollte den Dialog über die real existierenden offiziellen Barrieren hinweg gestalten. Es wollte in seine Arbeit Deutschland in Ost und West einbeziehen und die Kultur Polens ganzheitlich (inklusive Emigration und Opposition) begreifen. Diese Vision von 1979, bereits auf das Jahr 2000 wie auf eine Utopie projiziert, schien unrealistisch, ja nicht hinnehmbar. Sie stieß auf Widerstand. Der Tatkraft der beteiligten Gründungsmitglieder ist es zu verdanken, daß am 13. Dezember 1979 der Verein Deutsches Polen-Institut als gemeinnütziger, parteipolitisch und weltanschaulich neutraler eingetragener Verein (nach §51 bis 68 AO 1977) gegründet werden konnte. Das geschah zur Zeit der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt, der die Gründung persönlich auf allen Ebenen (Stadt, Land und Bund) unterstützt hatte.

 

[...]
« Der neue polnische Botschafter in der Zeit nach dem Sieg der Solidarnoœæ, Janusz Reiter, nannte das Deutsche Polen-Institut einen »Glücksfall für die polnische Kultur und die deutsch-polnischen Beziehungen«.

Das Institut sei »auf viel festeren Grundlagen aufgebaut« als auf »vorübergehenden Moden und Begeisterungswellen [...]. Daß Kultur der Schlüssel zum Verständnis eines Volkes ist, klingt etwas banal und wenig modern, bleibt aber trotzdem immer noch richtig [...].

Die Polnische Bibliothek, die ich nicht scheue, ein monumentales Werk zu nennen, ist keine Luxusware für die Elite, sondern ein Zeichen tiefer Achtung vor der Kultur eines anderen Volkes [...]. Daß Karl Dedecius und seine Mitarbeiter sozusagen die höchste Instanz in Sachen polnischer Kultur geworden sind, liegt nicht nur am Umfang des Werkes.

Das Institut verdankt seinen Ruf nicht nur der fachlichen Kompetenz. Was nicht weniger zählt, ist die Souveränität und die Unabhängigkeit des Urteils, die ›Unbestechlichkeit‹ - eine Tugend, derer sich auch im Literaturbetrieb nicht jeder rühmen kann. Mitten im kulturellen Geschehen Polens sein und doch Distanz wahren, das gleicht fast der Quadratur des Kreises [...]. Wer das miterlebt hat, der weiß, was es bedeutete, sich nicht vereinnahmen zu lassen.« Und dann zitiert der Botschafter einen Lec-Aphorismus: »Wer zur Quelle will, muß gegen den Strom schwimmen« und setzt fort:

 »Auch Deutschland kann auf dieses Institut stolz sein. Ein Land, dessen Kulturverständnis sich so manifestiert, verdient Respekt [...] ohne Kultur werden wir die europäische Zukunftsvision für Polen und Deutschland nicht begründen können [...]. Wenn ich an die fünfzehn Jahre des Deutschen Polen-Instituts denke, dann fällt es mir leichter, zuversichtlich zu sein: Es wird wieder Europa.«

 

Der Grundsatz der auswärtigen Kulturpolitik sei die Aussöhnung und Verständigung, schrieb Lothar Wittmann, Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt nach Dr. Witte: »Das Deutsche Polen-Institut hat in wichtiger und unverwechselbarer Weise zur deutsch-polnischen Aussöhnung und Verständigung beigetragen [...]. Hier wurde in kultureller Zusammenarbeit ein bedeutender Teil des Vertrauens aufgebaut, das heute das Verhältnis Deutschlands zu seinem polnischen Nachbarn charakterisiert.« 

Der Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte auch die Intention der Institutsarbeit, die man zuweilen (mit schwacher Stimme) als »elitär«, »nur auf die Kunst und Literatur« bezogen, abgehoben vom politischen Alltag empfand, verteidigt: »Ein Europa, welches diesen Namen verdient, ist unteilbar. Alle europäischen Völker sind von der Antike geprägt. [...] Das Lebens- und Weltgefühl der Europäer beruht auf der Gemeinsamkeit der Religion und der Philosophie, der Dichtung, der Musik und der Baustile. [...] Es wäre ebenso unhistorisch wie politisch unklug, nun in einen Neonationalismus zurückzufallen, der ja bei näherem Hinsehen wohl auch eher den Namen eines postnationalen Provinzialismus verdiente.«

 

Zum fünfjährigen Bestehen schrieb Richard von Weizsäcker dem Institut ins Logbuch: »Verständigung lebt nicht von Verordnungen [...]. Persönliche Initiativen sind von unschätzbarem Wert. [...] Die Förderung der Kultur ist von grundlegender Wirkung. Wenn wir sie, wie im Darmstädter Institut, nicht allein den Staaten überlassen, sondern für sie persönlich eintreten, können wir zu jenem fundamentalen Wandel im deutsch-polnischen Verhältnis beitragen, der in der Lage ist, zentrale Veränderungen in Europa herbeizuführen.« Zum Abschied des Leiters am Beginn des Jahres 1998, schrieb der amtierende Präsident des Instituts Helmut Schmidt: »Die finanzielle Ausstattung dieses kleinen Hauses stand und steht in keiner Relation zu dessen immenser Leistung.«

 

Ohne diese Fürsprache und Unterstützung wären Motivation und Leistung des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt kaum möglich gewesen. Nun geht das Jahrhundert zu Ende und mit ihm die Aufbauperiode mit ihren großen Herausforderungen und der notwendigen Basisarbeit. Für den Scheidenden ist es eine Genugtuung und Zuversicht, daß der kulturpolitische Charakter des Instituts beibehalten wird und daß neue Projekte mit neuer Energie das neue Jahrtausend einläuten werden. Meinem Nachfolger Dr. Dieter Bingen, dem ich mich freundschaftlich verbunden fühle, wünsche ich für die kommenden Jahre und Aufgaben viel Gesundheit, Glück und Erfolg. In der Zielsetzung sind wir uns einig: Kulturelle Zusammenarbeit ist wie das Atmen - auf ständige Fortsetzung angewiesen. Wer zu atmen aufhört, hört auf zu leben.

 

 

Übernahme des Textes und des Bildes mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Polen-Instituts Darmstadt.